Menschen können trotz einer Schädigung der Sprachareale ihre Sprachfunktion wiedererlangen. Das gilt nicht nur nach einem Schlaganfall. Auch für Patienten mit MS besteht die Möglichkeit, ihre Sprachfunktionen wiederherzustellen. Erfahren Sie hier, wie die Logopädie das Leben von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose positiv beeinflussen kann.
Das Gehirn ist neuroplastisch. Es ist in der Lage, sich an neue Umstände anzupassen; gesunde Hirnareale übernehmen die Arbeit der geschädigten Bereiche. Um diese “Neuverdrahtung” zu unterstützen, führen Logopäden mit ihren Patienten gezielte logotherapeutische Übungen durch. Dabei gilt dasselbe wie beim Erlernen eines Musikinstruments: Je mehr Training, desto stärker bildet sich die neue Verdrahtung im Gehirn aus. Die Verbesserungen der Sprachverarbeitungsfähigkeit im Gehirn können durch tomografische Verfahren eindeutig abgebildet werden.
Wie hilft Logopädie bei MS?
Natürliches Sprechen
Atem- und Artikulationsübungen sowie regelmäßiges Stimmtraining tragen dazu bei, eine monotone Sprachmelodie oder eine undeutliche, verwaschene Artikulation zu verbessern.
Ungehemmtes Schlucken
Das Antrainieren einer förderlichen Körperhaltung sowie das Üben der Kehlkopfbewegung kann Räuspern, Hustenreiz oder das Verschlucken bei der Nahrungsaufnahme reduzieren.
Flüssige Sprache
Mit einem regelmäßigen Wortfindungstraining erhält man seine allgemeine Leistungsfähigkeit und beugt Wortfindungsstörungen vor. Sprachverständnisstörungen lassen sich durch die Stärkung der Wahrnehmungsfähigkeiten verbessern.
Kräftige Stimme
Mit speziellen Übungen trainiert man die Stimme auf eine Weise, die Stimmermüdung vorbeugt.
Therapiemethoden
Da die Symptomatik bei MS-Patienten stark variiert, gibt es für die Behandlung kein einheitliches Therapieverfahren. Vielmehr muss sich jede Methode individuell an den jeweiligen Menschen anpassen. Patienten mit chronisch progredientem Verlauf benötigen eine andere Therapie als Patienten mit Phasen der Remission.
Sprachtherapie
Bei der Sprachtherapie geht es um Kommunikation im Allgemeinen. Die Übungen zielen darauf ab, Dysarthrien, neurogene Dysphagien, Aphasien und kognitive Beeinträchtigungen bei der Sprachverarbeitung zu verbessern. Sprachtherapie umfasst mündliche Übungen, die die Artikulation und die Aussprache verbessern.
Benötigt der MS-Betroffene mehr Unterstützung, können bei der Sprachtherapie auch spezielle elektronische Kommunikationshilfen (AAC) zum Einsatz kommen. AAC Geräte (augmentative und alternative Kommunikation) verbessern die Kommunikationsfähigkeit von MS-Patienten auf unterschiedliche Weise. Spracherzeugungsgeräte mit Blicksteuerung (z.B.: TD I-Serie von TobiiDynavox) werden über Eyetracking gesteuert, es gibt aber auch Geräte, die über einen Touchscreen (z.B. der Accent 1000 von Prentke Romich) oder über Tasten bedient werden. Moderne Anwendungen wie etwa Proloquo2Go funtionieren als App auf dem Smartphone.
Stimmtherapie
Die Stimmtherapie wird zur Behandlung von Stimmstörungen eingesetzt und kann Singen oder Resonanzübungen beinhalten. Singen kräftigt die Stimme und führt auf diese Weise zu einer verbesserten Stimmqualität. Resonanzübungen wie etwa das Sprechen mit verschiedenen Resonanzräumen im Mund- und Rachenraum oder Übungen zur Entspannung des Kiefer-, Hals- und Schulterbereichs tragen ebenso zur Stimmgebung bei.
Sprechtherapie
Anders als die Sprachtherapie, die sich mit der Kommunikation im Allgemeinen beschäftigt, legt die Sprechtherapie ihren Fokus auf die Aussprache. Ausschlaggebend für eine klare Aussprache ist die Koordination von Atmung, Bewegung und Haltung. Das Zusammenspiel der Atmungs-, Stimm- und Lautformungsorgane wird bei der Sprechtherapie trainiert. Zur Verbesserung der Atemkontrolle stehen atemtherapeutische Übungen auf dem Trainingsplan, welche die Ruheatmung und damit die Koordination beim Sprechen verbessern. Um die Aussprache zu verbessern, werden einzelne Laute und das Zusammenspiel von Zunge, Lippen und Kiefer mittels spezieller mundmotorischer Übungen trainiert.
Schlucktherapie
Die Schlucktherapie beschäftigt sich mit dem Schluckvorgang. Neben Übungen zur richtigen Sitzposition und Kopfhaltung beim Schlucken können auch Sprech- und Atemübungen geeignet sein, um häufiges Verschlucken, Hustenreiz und Speichelfluss zu reduzieren. Durch die Umsetzung einer konsequenten Schlucktherapie können diese Beschwerden deutlich gebessert werden.
Neue Behandlungsformen
Neben den von den Krankenkassen anerkannten Therapieformen gibt es noch weitere nützliche Therapien, die MS-Patienten helfen, Sprachstörungen zu verbessern oder zu überwinden. Besonders im Zusammenhang mit der Entdeckung der Neuroplastizität des Gehirns entstehen aktuell sehr vielversprechende neue Therapieansätze. Der Nachteil ist jedoch, dass diese privat zu bezahlen sind - die Krankenkassen beteiligen sich nicht an den Kosten.
Neurokognitive Therapie
Die Neurokognitive Therapie kann Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Multiple Skleroser oder Parkinson helfen, Sprachstörungen zu verbessern oder zu überwinden. Durch gezielte Übungen wird das zentrale Nervensystem stimuliert, ein neues physiologisches Bewegungsverhalten zu entwickeln, das zu einer Neustrukturierung des Gehirns führt. Eine entsprechende Therapie kann zum Beispiel aus Spielen (Memory, Sudoku, Simon,...) bestehen, die das Erinnerungsvermögen oder das analytische Denken trainieren. Auch das Vorlesen oder Nacherzählen einer Geschichte ist ein geeignetes Training, um das Sprachverständnis zu trainieren.
Neurofeedback in der Logopädie
Eine computerunterstützte Art der Neurokognitiven Therapie stellt das Neurofeedback Training dar. Dabei handelt es sich um ein computergestütztes Gehirntraining. Während der logopädischen Sitzung werden mittels Elektroenzephalografie (EEG) die Gehirnströme gemessen und die körpereigenen, biologischen Signale in Form von Audio, Video oder Gaming wiedergegeben (Feedback). Das Feedback ermöglicht den Patienten, Hirnregionen bewusst zu beeinflussen. Menschen mit Multipler Sklerose können Neurofeedback nutzen, um das Sprachverständnis und die Sprachfunktion zu trainieren. Die Übungen regen das Gehirn an, sich umzustrukturieren und neue, gesunde Hirnbereiche zu nutzen. Neurofeedback ist eine wissenschaftlich anerkannte Methode, wird aber idR nicht von den Krankenkassen bezahlt.
Fragen und Antworten zum Thema Logopädie bei MS
Was kostet die Logopädie bei MS?
Als anerkanntes Heilmittel übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten, eine Zuzahlung iHv 10% der Heilmittelkosten ist für Patienten ohne Befreiungsbescheinigung Pflicht. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten auch dann, wenn sich der MS-Betroffene anstatt der Präsenztherapie für eine Teletherapie entscheidet, sofern es sich um ein Angebot eines zugelassenen Leistungserbringer handelt. Eine private Therapiesitzung bewegt sich preislich im Bereich von rund 50 - 100 EUR.
Wie oft zum Logopäden?
Für MS-Patienten ist es sinnvoll, mindestens 10, besser 20 wöchentliche Sitzungen in Anspruch zu nehmen. Private Logopäden bieten Therapieblöcke von bis zu 40 Einheiten an.
Wie lange dauert eine Therapiesitzung?
Je nach Verordnung kann eine logopädische Therapiesitzung 30, 45 oder 60 Minuten, als Gruppentherapie bis zu 90 Minuten dauern.
Wie läuft eine Teletherapie-Sitzung ab?
Sie bekommen via E-Mail einen Link. Mit Klick auf den Link nehmen Sie am Meeting teil. Die Teletherapie-Sitzungen finden in einem durch Verschlüsselung geschützten Raum statt.
Wie läuft eine Teletherapie-Sitzung ab?
Die positiven Auswirkungen der Neurokognitiven Therapie mit oder ohne Computerunterstützung wurden in zahlreichen Studien bestätigt. Viele Patienten feiern dank der modernen Therapieform große Erfolge. Die Neurokognitive Therapie eignet sich besonders zur Behandlung von Wortfindungsstörungen, zum Training des Gedächtnisses und zur Förderung der Konzentration.
Wie finde ich einen Logopäden in meiner Nähe?
Der Deutsche Bundesverband für Logopädie e.V. stellt online eine Logopädensuche zur Verfügung.