Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) wirft viele Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die berufliche Zukunft. Die Chancen, trotz MS zu arbeiten, stehen jedoch gut.
Tatsächlich sind viele MS-Betroffene weiterhin in der Lage, ihre beruflichen Aktivitäten fortzusetzen und dabei Erfolg zu haben. Der individuelle Verlauf und die Schwere der Erkrankung sind dabei entscheidende Faktoren.
Eine frühzeitige Anpassung der Arbeitsbedingungen wie etwa die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten oder eine Änderung der Arbeitsweise wie etwa die Möglichkeit, Arbeit zu delegieren, kann dazu beitragen, die Belastbarkeit im Arbeitsalltag zu erhalten und Anforderungen gerecht zu werden. Hierbei können Experten wie Ärzte, Organisationen und Berufsberater wichtige Hilfestellungen leisten.
Berufsunfähigkeit und Übergangszeit
Versicherte gelten als berufsunfähig, wenn sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage sind, sowohl in ihrem erlernten als auch in einem zumutbaren Beruf die Hälfte der Leistung und des Einkommens zu erbringen.
Neben der Deutschen Rentenversicherung unterstützen auch das Sozialamt, das Jobcenter und die Krankenkasse MS-Betroffene bei der Beantragung von Berufsunfähigkeitsleistungen und der finanziellen Absicherung während des Antragsverfahrens.
Die Krankenkassen bieten während des Antragsverfahrens und der Übergangszeit weiterhin Krankengeld an, sofern die Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt ist und die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei Arbeitslosigkeit und noch nicht anerkannter Berufsunfähigkeit können Betroffene Arbeitslosengeld II (auch Hartz IV genannt) beim zuständigen Jobcenter beantragen. Während des Antragsverfahrens und bis zur Anerkennung der Berufsunfähigkeit können Betroffene in finanziellen Notlagen vorübergehend Sozialhilfe oder Grundsicherung beim zuständigen Sozialamt beantragen. Individuelle Fragen zur Berufsunfähigkeit können in vielen Fällen von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) beantwortet werden. Sie bietet zahlreiche Informationen und Unterstützung für MS-Betroffene aus Deutschland an.
Die Feststellung der Berufsunfähigkeit
Für die Feststellung einer Berufsunfähigkeit im Zusammenhang mit einer Erwerbsminderungsrente ist die Deutsche Rentenversicherung zuständig. Betroffene stellen hierfür einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente.
Antragsunterlagen für die Erwerbsminderungsrente
Es ist wichtig, alle erforderlichen Unterlagen und medizinischen Informationen (Diagnosen, Befunde, Therapiepläne, Krankenhausberichte, Arztbriefe) zusammenzustellen, um den Antragsprozess für die Erwerbsminderungsrente zu erleichtern. Hilfreich sind zudem ein aktueller Lebenslauf und Nachweise über berufliche Qualifikationen, welche der Rentenversicherung helfen, die bisherige Berufstätigkeit und mögliche Umschulungsmaßnahmen zu beurteilen.
Medizinische Rehabilitation
Bevor ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt werden kann, werden Angebote zur medizinischen Rehabilitation unterbreitet, die dabei helfen sollen, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen bzw. zu verbessern. Bei MS-Betroffenen kann die medizinische Rehabilitation verschiedene Therapieansätze wie etwa Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie oder Psychotherapie umfassen. Ebenso geprüft wird die Möglichkeit einer beruflichen Neuorientierung.
Der Antrag auf Erwerbsminderung wird auf Grundlage medizinischer Gutachten und Unterlagen geprüft. Die Deutsche Rentenversicherung kann dazu den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder andere Ärzte beauftragen, um ein Gutachten zu erstellen.
Die Entscheidung über die Berufsunfähigkeit basiert auf einer Gesamtbewertung der medizinischen und beruflichen Faktoren sowie den Auswirkungen der MS-Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen. Wenn die Deutsche Rentenversicherung zu dem Schluss kommt, dass eine Berufsunfähigkeit vorliegt, wird eine Erwerbsminderungsrente gewährt, deren Höhe von verschiedenen Faktoren abhängt, wie z.B. von den bisherigen Beitragszahlungen und der verbleibenden Arbeitsfähigkeit.
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente
Im Jahr 2021 lag die volle Erwerbsminderungsrente in Deutschland bei etwa 38% des monatlichen Bruttoeinkommens. Die teilweise Erwerbsminderungsrente betrug etwa die Hälfte der vollen Erwerbsminderungsrente. Die Hinzuverdienstgrenzen von ehemals 6.300 Euro wurden zum 1.Januar 2023 abgeschafft; stattdessen gilt seitdem eine jährliche Hinzuverdienstgrenze von drei Achtel der 14-fachen monatlichen Bezugsgröße. Dies entspricht einer Hinzuverdienstgrenze von 17.823,75 Euro im Jahr 2023.
Berufliche Neuorientierung: Geeignete Berufe bei MS
Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, stehen häufig vor der Frage, welche Berufe sie trotz ihrer Erkrankung ausüben können. Berufsfelder wie Verwaltung, IT, Kommunikation oder auch kreative Berufe wie Grafikdesign und Schreiben bieten sich an, da sie weniger körperliche Belastung erfordern und flexible Arbeitszeiten ermöglichen.
Zuständige Stellen
Öffentliche Einrichtungen wie die Agentur für Arbeit, das Integrationsamt und die Integrationsfachdienste bieten Beratung und Unterstützung in Bezug auf berufliche Rehabilitation und finanzielle Hilfen. Private Organisationen wie die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bieten ebenfalls wertvolle Informationen und Ressourcen für Menschen mit MS und deren Arbeitgeber.
Ihr Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben
Arbeitgeber sind laut Sozialgesetzbuch (SGB) IX, Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) verpflichtet, angemessene Anpassungen am Arbeitsplatz vorzunehmen, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben zu ermöglichen und sicher zu gestalten.
Ihr Recht auf Barrierefreiheit
Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, darunter auch Deutschland, die Barrierefreiheit zu fördern und sicherzustellen. Als Ausdruck des Engagements zur Umsetzung dieser Konvention hat die Europäische Union den Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz EAA) ins Leben gerufen. Dieser Rechtsakt unterstreicht die Bedeutung von Barrierefreiheit und die Verantwortung der Unterzeichnerstaaten. In Deutschland gibt es eine Reihe von eigenen Gesetzen und Regelungen, wie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Landesbauordnungen, die den Abbau von Barrieren und den Zugang zu barrierefreien Umgebungen gewährleisten sollen.
Es gibt insgesamt vier Arten von Barrieren. Neben der baulichen Barrieren ist Deutschland verpflichtet, auch kommunikative und digitale Barrieren abzubauen. Der Abbau all dieser Barrieren wird dazu beitragen, die Barriere abzubauen, die am schwierigsten zu überwinden sein wird: Die Barrieren im Kopf.
Nachträglich Barrierefreiheit herstellen
Nachträgliche bauliche Barrierefreiheit kann in vielen Fällen sehr einfach und kostengünstig durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden. Eine Möglichkeit ist der Einbau von Plattformliften oder Hubliften.
Unterstützungen bei eingeschränkter Mobilität
In Deutschland gibt es verschiedene Hilfestellungen und finanzielle Vorteile, die die Mobilität von Personen mit MS verbessern können. Diese ermöglichen es Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und aktiv am Arbeitsleben teilzunehmen. Menschen mit Schwerbehindertenausweis können etwa einen Parkausweis für Behindertenparkplätze erhalten und den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen. Für den Kauf oder die Umrüstung eines Fahrzeugs gibt es Zuschüsse und Förderungen.
Diagnose öffentlich machen?
Die Entscheidung, eine MS-Diagnose gegenüber dem Arbeitgeber offenzulegen, ist eine persönliche und komplexe Abwägung, denn grundsätzlich hat jeder das Recht, Informationen über seinen Gesundheitszustand privat zu halten, um Diskriminierung oder unerwünschte Reaktionen zu vermeiden. Wer von diesem Recht auf Privathaltung Gebrauch macht, muss jedoch den Verlust von Unterstützung und Rechten in Kauf nehmen. Ohne Kenntnis der Diagnose ist es dem Arbeitgeber nämlich nicht möglich, Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse zu nehmen und angemessene Anpassungen vorzunehmen.
Studieren mit MS
In Deutschland existieren Unterstützungsangebote, die MS-Erkrankten dabei helfen sollen, trotz ihrer Behinderung ein Studium zu absolvieren.
MS-Erkrankte können als schwerbehinderte Menschen eingestuft werden und somit besondere Rechte in Anspruch nehmen, wie Nachteilsausgleiche bei Prüfungen, verlängerte Studienzeiten oder individuelle Anpassungen im Studienalltag. Die meisten Universitäten verfügen über Beauftragte für Studierende mit Behinderung, die dabei unterstützen, diese Rechte und Anpassungen zu realisieren.
Bisher sind leider nach wie vor nicht alle Universitäten in Deutschland vollständig barrierefrei. Als Alternative bieten einige Universitäten und Hochschulen in Deutschland Fernstudien- oder Online-Studiengänge an, die dieselbe Anerkennung wie Präsenzstudiengänge erhalten. Dies ermöglicht Studierenden mit MS, flexibel von zu Hause aus zu lernen und so ihre individuellen Bedürfnisse besser berücksichtigen zu können.
Fragen und Antworten zum Thema
Ist es MS-Patienten möglich, in ihrem Beruf weiterzuarbeiten?
Grundsätzlich ja. Viele MS-Betroffene haben ihre Erkrankung gut im Griff und arbeiten weiterhin in ihrem Beruf.
Welche Berufe sind für Menschen mit MS geeignet?
Für MS-Betroffene eignen sich zum Beispiel Berufe in der Verwaltung, der IT oder der Kommunikation. Auch im kreativen Bereich, etwa Grafikdesign oder Texten, finden sich geeignete Berufe.
Ist man mit MS arbeitsunfähig?
MS ist eine Erkrankung mit heterogenem Krankheitsbild. Manche Betroffene können nahezu ohne Einschränkung in ihrem Beruf weiter arbeiten, andere wiederum nicht. MS führt nicht gezwungenermaßen in die Arbeitsunfähigkeit.
Kann man aufgrund der Diagnose MS gekündigt werden?
Nein. Multiple Sklerose ist kein Kündigungsgrund. Falls der Betroffene seine Tätigkeit jedoch nicht mehr ausüben kann, ist eine Kündigung rechtens.
Hat man mit der Diagnose MS automatisch einen Kündigungsschutz?
Nein. Ein Kündigungsschutz wird jedoch mit anerkannter Schwerbehinderung schlagend.